BR, WDR, arte | 90 min ( 45-Minuten-Fassung für „Menschen hautnah“), 2001

Sie sitzen im größten Jugendknast Deutschlands in Hameln und sind berüchtigt für ihre Brutalität: Jens, der erbarmungslose Schläger, Nils, der für Tausend Mark einen Mord begehen wollte und der Libanese Scheich, der durch seine Opfer mit Scheinhinrichtungen quälte. Weggeschlossen, aufgegeben von der Welt da draußen, werden ihre Wut und ihr Frust jeden Tag größer und machen die drei Neunzehnjährigen noch gefährlicher für jeden, der zufällig ihren Weg kreuzt. Als der Gefängnispsychologe Michael Heilemann ihnen ein Anti-Aggressivitäts-Training anbietet, sind sie dabei – doch eher um der Knasttristesse zu entkommen, als aus ehrlicher Einsicht. Gnadenlos – so wie sie mit ihren Opfern waren, demontiert er ihr Selbstbild, kehrt ihr Innerstes nach außen und fördert verborgene Verletztheiten zutage. Doch er kämpft einen einsamen Kampf. Während bei den harten Jungs die Fassade bröckelt, bekommt Heilemann Gegenwind aus den eigenen Reihen. Die Justiz selbst bringt sein Projekt an die Grenze des Scheiterns.

Festivals

Filmfest München
Discovery-Channel-Award
Axel-Springer-Preis

Stab

Buch: Jana Matthes & Andrea Schramm
Regie: Andrea Schramm
Kamera: Bernd Meiners
Ton: Pascal Capitolin
Produktion: Jörg Bundschuh, Kick-Film München

Rezensionen

„In ihrer anderthalbstündigen Reportage ergreifen die Filmemacherinnen Partei für die Psychologen, die mit ihren Anti­-Aggresivitäts-Training selbst erbarmungslosen Schlägern eine Zukunft eröffnen möchten. Eine Zukunft, in der sich nicht jeder fürchten muss, der ihnen harmlos auf der Straße begegnet. Aber auch eine Zukunft, in der Täter selbst wieder in den Spiegel schauen können.“

Süddeutsche Zeitung

„Den beiden Fernsehmacherinnen ein Lob auszusprechen, sie haben sich nicht von institutionellen Zwängen verunsichern lassen, sondern ihren Film unbeirrt weitergedreht. Gnadenlos ist ein Film, mit dem sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen schmücken kann. Ein Film, der Mißstände aufdeckt und sich kritisch positioniert.“

Frankfurter Rundschau

„Kein Actionfilm, aber mehr als eine nüchterne Dokumentation. Die Regisseurinnen Jana Matthes und Andrea Schramm bleiben beharrlich an den handelnden Personen. 90 Minuten Spannung kreisend um die Fragen: gibt es ein Signal der Veränderung, wird ein Anker gesetzt, wie wirkt der Therapeut und stört die Kamera oder wird sie sogar zum therapeutischen Mittel?“

Hamelner Tagensanzeiger

Frust for Life
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Sie sitzen im größten Jugendgefängnis Deutschlands in Hameln in Westfalen und sind berüchtigt für ihre Brutalität: Jens, ein erbarmungloser Schläger, Nils, der für 1000 Mark einen Mord begehen wollte, und der Libanese Scheich, der durch eine Scheinhinrichtung von sich reden machte. Weggeschlossen, aufgegeben von der Welt da draußen werden ihre Wut und ihr Frust jeden Tag größer und machen die drei 19­jährigen noch gefährlicher für jeden, der zufällig ihren Weg kreuzt. Als Michael Heilemann, der Gefängnispsychologe, ihnen ein Anti-Agressivitäts-Training anbietet, sind sie dabei – ­ doch eher, um der Knasttristesse zu entkommen, als von dem Wunsch beseelt, sich wirklich ändern zu wollen. Doch Heilemann zeigt sich verrückter als sie selbst. Gnadenlos, wie sie mit ihren Opfern waren, demontiert er ihr Selbstbild, kehrt ihr Innerstes nach außen und fördert verborgene Verletzungen zutage. Erst als die drei vor ihren eigenen Taten Abscheu empfinden und sich bei ihren Opfern entschuldigen, ist der Psychologe zufrieden. Doch er kämpft einen einsamen Kampf. Während bei den harten Jungs die Fassade bröckelt, bekommt er Gegenwind aus den eigenen Reihen, Beamtenmentalität steht gegen die Kreativität des Trainers. Die Justiz selbst bringt sein Projekt an die Grenze des Scheiterns. Ein 20­jähriges Experiment stellt Veränderungen, Selbstbefragung und Hoffnung in eine ungewisse Zukunft. Was bleibt – so das Resümee in dem Dokumentarfilm ,,Gnadenlos“ von Jana Matthes und Andrea Schramm – ist die Frage nach Determination des Menschen bzw. seiner Therapierbarkeit.“

Süddeutsche Zeitung vom 21.02.2001

Eine Chance für Diebe und Mörder
TV­ Dokumentation über den harten Weg aus dem Gefängnis zurück in die Gesellschaft.
,,Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Jugendknast meist keine Wiedereingliederung in ein sinnvolles Berufs­- und Alltagsleben leistet. Eine Strafanstalt ist zum Stafen da, Kriminelle werden weggeschlossen, um die Gesellschaft vor ihnen zu schützen. Punkt. Jana Matthes und Andrea Schramm haben nun einen Film über den Gefängnispsychologen Michael Heilemann und seine Kollegin Gabi Fischwasser gedreht. Sie wollen die harten Jungs in Hameln zu besseren Menschen erziehen. Die engagierten Psychologen versuchen mit Konfrontationstechinken das scheinbar Unmögliche: Sie wollen den Tätern eine Chane geben und verlangen gleichzeitg viel von ihnen. In ihrer anderthalbstündigen Reportage ergreifen die Filmemacherinnen Partei für die Psychologen, die mit ihren Anti­-Aggresivitäts-­Training selbst erbarmungslosen Schlägern eine Zukunft eröffnen möchten. Eine Zukunft, in der sich nicht jeder fürchten muss, der ihnen harmlos auf der Straße begegnet. Aber auch eine Zukunft, in der Täter selbst wieder in den Spiegel schauen können. Heilemann und Fischwasser stoßen mit ihren unkonventionellen Methoden an die Grenzen der Knasthierarchie. Im Film wird geschildert, wie ihnen permanent Steine in den Weg gelegt werden. Insofern ist den beiden Fernsehmacherinnen ein Lob auszusprechen, sie haben sich nicht von institutionellen Zwängen verunsichern lassen sondern ihren Film unbeirrt weitergedreht. ,,Gnadenlos“ ist ein Film mit dem sich das öffentlich­-rechtliche Fernsehen schmücken kann. Ein Film, der Missstände aufdeckt und sich kritisch positioniert. Matthes und Schramm haben drei Straftäter über ein Jahr filmisch begleitet: Jens, der einen Spaziergänger übel zugerichtet hat, Nils, der für 1000 Mark einen Mord begehen wollte und Scheich, der durch eine Scheinhinrichtung von sich reden machte. Alle drei müssen sich vor der versammelten Mannschaft von eigens zu diesem Zweck eingeladenen Studenten, Sozialarbeitern und ehemaligen Schlägern, zu ihrer Tat bekennen. Heilemanns Begründung: Sie haben ihre Tat öffentlich begangen, sie müssen sich auch öffentlich distanzieren. Die Autorinnen filmen Gruppensitzungen, in denen sich die Psychologen als gnadenlos entpuppen. Sie demontieren das Selbstbild der Jugendlichen, kehren deren Innerstes nach außen, fördern verborgene Verletztheit zutage. Erst wenn sie sich vor ihren eigenen Taten ekeln und sich bei ihren Opfern entschuldigen, geben sich die Pychologen zufrieden. Doch am Ende scheitert das Projekt nicht an den harten Jungs, sondern an verkrusteter Beamtenmentalität.“

Frankfurter Rundschau vom 24.02.2001

Gnadenlos
Spannende Doku aus dem Hamelner Knast

,,Hameln. Sie waren gnadenlose Schläger und mit ihnen gehen die Therapeuten Dr. Michael Heilemann und Gabi Fischwasser von Proeck gnadenlos radikal und offen um. Der Libanese „Scheich“, Nils der „Poet“ und Jens der „Ossi“ – drei jugendliche Straftäter, deren ,,Karriere“ im Hamelner Jugendgefängnis endet. Die nun vor der Kamera Karriere machen, denn ihren Wandel während und nach dem Anti-Aggressivitätstraining verfolgt der Film ,,Gnadenlos“. Sehr dicht wird an den Personen gearbeitet. Mit nur einer Kamera wird der Blickkontakt in den Sitzungen des ,,Heissen Stuhls“ nur angerissen. Doch die filmische Spannung fängt Tonmann Pascale Capitolin in den Gruppensitzungen mit schreienden und heulenden Teilnehmern auf. Spannung durch Tempowechsel – ruhiges Gespräch in der Zelle – und Sichtwechsel. Kameramann Bernd Meiners verfolgt den Knacki beim Duschen, beim Saubermachen in der Zelle, beim Arbeiten. Immer wieder klebt sein Objektiv an den Tätern. Ändert sich die Person, ihr Gesicht, wird es offener, zugänglicher? Bewegte Bilder im Freien, wenn Psychologe und Sozialtherapeutin ihre Klienten beim Sport anfeuern, sentimentale Augenblicke bei Kerzenschein, aufwühlende Zwischenfälle im Konflikt mit der Knastordnung und ihren Sanktionen. Kein Actionfilm, aber mehr eine nüchterne Dokumentation. Regisseurin Jana Matthes und Andrea Schramm bleiben beharrlich an den handeldenden Personen, lasen keine Interviews auf politischer oder juristischer Ebene zu. 90 Minuten Spannung kreisend um die Fragen, gibt es ein Signal der Veränderung, wird ein Anker gesetzt, wir wirkt der Therapeut und stört die Kamera oder wird sie sogar zum therapeutischen Mittel ?“

Ulrike Truchseß | Hamelner Tagesanzeiger