ZDF 37 Grad | 30 min, 1997
„Wären alle Unternehmer wie du“ sagt Mattner zu seinem Freund Glanz, „hätten wir längst den Sozialismus“. Dem Abrissunternehmer Glanz steht das Wasser bis zum Hals. Außenstände von zwei Millionen Mark trieben ihn an den Rand des Konkurses.
Auch Klaus Mattner zog Anfang der 90er mit einem Wischlappen los, um mit einer Firma sein Glück zu machen. Mittlerweile leitet er entspannt und gutgelaunt ein Reinigungsunternehmen mit 300 Mitarbeitern. Auch an ihm geht die Wirtschaftskrise nicht spurlos vorüber, aber immerhin verdiene er ja noch mehr als der Bundeskanzler.
Mattner will seinem Freund Glanz unter die Arme greifen und Geld in die marode Abrissfirma pumpen. Kompetent und fleißig zu sein, reiche nicht mehr, um erfolgreich ein Unternehmen zu leiten. Mit Mattner und Glanz werden zwei charismatische Unternehmer porträtiert, die sich mit unterschiedlichen Philosophien in der Wirtschaftskrise behaupten wollen.
Stab
Buch und Regie: Jana Matthes & Andrea Schramm
Kamera: Tobias Albrecht
Schnitt: Götz Filenius
Produktion: timecode Berlin
Rezensionen
Süddeutsche Zeitung
FAZ
Gehen Sie nicht über Los
„„Ein dummes Spiel“ stöhnt der Verlierer beim Monopoly, und der Gewinner lacht. Der eine hat sich finanziell übernommen und ist vom Pech verfolgt, der andere hat ordentlich kalkuliert und Glück gehabt. In dieser Schlussszene bündelten Jana Matthes und Andrea Schramm die Erkenntnisse ihrer Reportage „Das Leben ist ein Monopoly“: Ob unternehmerisches Engagement glückt oder scheitert, hängt nicht nur von den Wechselfällen des Marktes ab, sondern außer von den objektiven Fähigkeiten auch wesentlich von der Geisteshaltung jedes einzelnen.
Diese Wahrheit wurde nicht ausgesprochen, dem Betrachter durch die Szenerie jedoch nahegelegt. Die Autorinnen hielten sich in ihrer Reportage mit eigenen Urteilen und Sympathien zurück. Damit entgingen sie den Fallstricken, die sie mit ihrem polarisierenden Thema selbst ausgelegt hatten: Aus der Gegenüberstellung von Erfolg und Mißerfolg mittelständischer Unternehmer in der Marktwirtschaft hätte sich leicht ein klischeehaftes Porträt skrupelloser Kapitalisten und derer, die ihnen nicht gewachsen sind, ergeben können – mit dem Unterton, daß der Markt ein moralischer Dschungel sei.
Doch Jana Matthes und Andrea Schramm gingen differenzierter vor. Die zwei Persönlichkeiten, die sie für ihre Reportage auswählten, wurden keineswegs als Schablonen für Vorurteile mißbraucht. Sie entfalten sich vielmehr Stück für Stück, offenbaren ihr Denken und Handeln, ihre Träume, ihre Schwächen. Als Klammer, die vor klischeehafter Dialektik schützt, wirkt die Freundschaft zwischen den beiden. So bekam der Zuschauer zwei Charaktiere zu greifen, beide nicht unsympathisch und trotz ihrer unterschiedlichen Geschicke, Temperamente und Talente gar nicht so gegensätzlich: Sie sind Getriebene, gezogen vom „Drang, oben zu sein“, wie es der eine der beiden Freunde ausdrückt.
Klaus Mattner, der Emporkömmling, war früher Fensterputzer und leitet heute ein Reinigungsunternehmen mit rund zweihundert Angestellten. Er schwimmt auf der Welle seiner Fortune – ein sonniges, unkompliziertes und ein wenig unbedarftes Gemüt. Bruder Leichtfuß und Schauspieler, aber anspruchsvoll, zupackend und vernünftig im Geschäft. „Zuckerbrot und Peitsche„ brauche es im Umgang mit den Angestellten, verlangt er, klare Anweisungen und strikte Regeln. Hartherzig ist er nicht, aber er rechnet scharf: Seinem in Not geratenen Freund hilft er eine Weile mit Rat und Geld; als er dessen Unternehmen aber als „Fass ohne Boden“ erkennt, steigt er wieder aus.
Mattners Ziel ist schlicht: Geld will er verdienen, reich werden. Seinen Wohlstand genießt er; er zeigt ihn mit unverhohlener und doch verschämter Begeisterung. „Es liegt doch in der Natur des Menschen, immer mehr zu wollen“ ergänzt er, offensichtlich auf der Suche nach anderen Werten und doch dem Reiz des Geldes erlegen. Auch wenn sich Mattner den Mantel des harten Unternehmers und Materialisten selbst umhängt: ganz entspricht ihm dieses Bild nicht. Leben und genießen will er auch. Gefragt nach seinen Träumen und Zukunftsvorstellungen, sagt er: „In zehn Jahren will ich diesen ganzen Aufwand nicht mehr. Man muß nicht zu den Großen gehören, um glücklich zu sein.“
Mattner kann sich solche Gedanken inzwischen leisten. Materielle Sorgen hat er nicht mehr, und so würde er sich von einer Fee auch kein Geld wünschen, sondern ein zweites Leben: „Hauptsache: Licht und Himmel“, schwärmt er. Sein glückloser Freund Michael Glanz hingegen grübelt über den Sinn des Lebens, weil ihn seine Lage quält. Der Abrißunternehmer hat sich nach der Wende vor Aufträgen kaum retten können, doch heute bleiben die Orderhefte leer, es droht der Konkurs. Sein Haus ist verpfändet, das Auto verkauft und dennoch: „Die Firma ist das Wichtigste in meinem Leben. Ich habe eigentlich nichts anderes.“ Selbst bedürftig geworden, würde er einem Bettler Geld zustecken – Mattner hingegen nicht.
Glanz trauert seinen unverwirklichten Jugendträumen nach, hadert mit dem Markt, mit der Konkurrenz und der Korruption. Er klagt: „Heute läuft doch nichts mehr sauber ab. Man kann nichts werden, wenn man da nicht jemanden hat.“ Seine Bitternis ist nichts anderes als das Spiegelbild des Versagens. Glanz ist von des Gedanken Blässe angekränkelt – und das treibt ihn immer tiefer in den Ruin. Doch nicht nur, daß der Charakter eines Menschen dessen Schicksal wesentlich bestimmt, arbeiten die Autorinnen in ihrem reizvollen psychologischen Porträt heraus. Sie lassen auch die Vermutung aufscheinen, daß die Verklammerung von Charakter und Geschick eine beidseitige ist – mit der realistischen Konsequenz, daß sich ein einfaches Rezept für den Erfolg schlechthin nicht ableiten lässt.“
Karen Horn | Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26.6.97
Gieriger Freund
„Zwei Unternehmerkarrieren: eine, die steil nach oben geht, und eine, die unaufhaltsam in den Konkurs hinuntertrudelt. Der Hans im Glück hat sich vom Fensterputzer zum Chef einer Gebäudereinigungsfirma hochgearbeitet –die männliche Pechmarie heißt– Ironie des Schicksals – Glanz und hat sich mit einer Abrißfirma übernommen.
Es ist immer wieder überraschend, welche Einblicke in die Wirklichkeit die ZDF-Reihe 37 Grad zu bieten hat, mit welcher Ökonomie manche Autoren dies halbe Stündchen nutzen. Wie Jana Matthes und Andrea Schramm, die zwei Unternehmerpersönlichkeiten porträtieren und so mehr über die Bedingungen von Erfolg und Mißerfolg enthüllen als manche umfangreiche Wirtschaftsanalyse. Schon an der Körpersprache ist es zu erkennen: Erfolg ist eine Sache des aggressiven Glaubens an die eigene Aufstiegsfähigkeit – der miese Charakter kommt dann ganz von selbst. Glanz, der Gestrauchelte, hat einen zu menschlichen Schimmer in den Augen, um im Dschungel des Kapitalismus zu überleben. „Wenn alle so ehrlich und fair wären wie Glanz“, sagt Matttner spöttisch, „hätten wir wieder den Sozialismus.“
Denn Mattner mit seinen gierig funkelnden Augen hat begriffen: „Wenn einer seine Schulden bei mir nicht zahlt, hilft nur ein osteuropäisches Inkassobüro, also die Russenmafia. Und dann gibt’s mal kurz een uff de Nuss.“
Wenn so ein Gewinnertyp wie Mattner einem Verlierertyp wie Glanz mit einer Bürgschaft unter die Arme greift, kann jeder –außer dem Verlierertyp– erkennen, wie schlimm das enden wird. Denn zum Erfolg gehört, daß man den Riecher dafür hat, wie sich aus dem drohenden Konkurs eines Unternehmers noch ein Vorteil für den eigenen Aufstieg ziehen läßt. So, wie es zum Misserfolg gehört, daß man nicht zwischen Freundschaft und Geschäft unterscheiden kann.
Nüchtern und dennoch mit Empathie beschrieben die Autorinnen den Weg nach oben und nach unten. Mattner, der seinen Grundbesitz abschreitet und säumige Angestellte am Telephon herunterputzt – Glanz, der wie betäubt in seiner ausgeräumten Firma steht und in defensiver Haltung am Telephon verhandelt.
„Was fehlt Ihnen in Ihrem Leben?“ fragen die Autorinnen die Unternehmer. „Eigentlich Erfolg“, sagt Glanz. „Ach, ein paar Haare“, antwortet Mattner. Und macht sich gutgelaunt daran, auch beim Monopoly noch über Glanz zu siegen.“
Süddeutsche Zeitung vom 26.6.97