ZDF 37 Grad | 30 min, 2008
Wenn die große Liebe kaputt geht, bleiben die Verlassenen in einem emotionalen Chaos zurück. Der Film begleitet Jürgen, 53, und Claudia, 29, durch die Phasen ihres Liebeskummers: von der Hoffnung, dass der Partner zurückkommt, über Enttäuschung und Leere bis hin zu der Einsicht, dass man die alte Liebe loslassen muss, um wieder glücklich zu werden.
Stab
Buch/Regie: Jana Matthes & Andrea Schramm
Kamera: Ines Thomsen
Ton: Martin Kleinmichel
Schnitt: Andrea Niessen
Redaktion: Silvia Schmidt-Kahlert
Im Exfreundemuseum
„Die Kerze wird ausgepustet und weggeräumt vom Café-Tisch, das hat sich nämlich irgendwie gerade ganz falsch angefühlt. Zu sehr nach: Wenn man denkt, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her. Aber auf einen derart idyllischen Trost wollen die Berliner Filmemacherinnen Jana Matthes und Andrea Schramm jetzt bestimmt nicht hinaus. Denn für ihre Fernseh-Dokumentation haben sie seit Anfang des Jahres per Zeitungsannonce nach Menschen gesucht, die in der akuten Phase ihres Liebeskummers stecken und noch keine rechte Hoffnung auf Besserung dieses schmerzlichen Zustandes hegen. Rund fünfzig Betroffene antworteten in den nächsten Wochen; aus Berlin waren es nicht besonders viele. Manche von denen, die sich meldeten, waren schon zufrieden damit, mal jemanden zum Zuhören gefunden zu haben, ins Fernsehen wollten sie gar nicht. Einige Anrufer hätten einen „extremen Rededruck“ gehabt, der nach einer halben Stunde dann eben auch abgebaut gewesen sei. Einer wollte von der Frau am Apparat wissen, ob man nicht mal zusammen ausgehen könnte. Dann haben sich die Filmemacherinnen für zwei Protagonisten entschieden. Claudia ist Ende Zwanzig, wohnt in der Nähe von Essen und ist Lehrerin. Sehr schüchtern sei sie, sagen die beiden, es fiele ihr schwer, aus sich herauszugehen. Und dennoch will sie mutig sein, die „Heimlichtuerei“ beenden: Alle sollen wissen, wie schlimm es um sie steht nach dem abrupten Aus. Dass sie sich fühlt wie jemand, der in einem tiefen Bunker sitzt, und alle haben vergessen, ihr zur Rettung ein Seil herunterzuwerfen. Hans-Jürgen, ein arbeitsloser Lkw-Fahrer, ist 53 Jahre alt und lebt in Berlin. Er hat bei den Autorinnen und Regisseurinnen angerufen mit den Worten: „Sie ist meine große Liebe.“ Er ruft oft bei ihnen an seitdem, er ist einsam, nur ein einziger Kumpel ist ihm noch geblieben. Claudia und Hans-Jürgen befinden sich, höchstwahrscheinlich wider besseren Wissens, noch in der „Hoffnungsphase“, wie die Autorinnen es nennen. Auch davon will dieser Film erzählen: wie man etwas partout nicht wahrhaben will. Oder wie man andererseits glaubt, etwas längst deutlich geäußert zu haben. „Frauen analysieren mehr“, findet Andrea Schramm, „sie suchen die Schuld eher bei sich als Männer.“ Jana Matthes entgegnet: „Frauen glauben viel zu oft, dass widrige äußere Umstände die Trennung verursacht haben, dass der Mann noch tiefe Gefühle für sie hegt.“ Und Männer belügen vielleicht eher die anderen als sich selbst. In neueren medizinischen Forschungen konnte festgestellt werden, dass die Verzweiflung, die Trauer darüber, verlassen worden zu sein, den neuronalen Mustern im Gehirn gleicht, die bei Schmerzen durch Verletzungen auftreten. Liebeskummer vermag also durchaus körperlich weh zu tun. Nur werde das im Alltag überhaupt nicht als Krankheit anerkannt, die einer schweren Depression gleiche, so Jana Matthes: „Alle sagen immer nur, das wird schon wieder.“ Viele Menschen können sich über eigenen oder fremden Liebeskummer nur mühsam verständigen – filmische Bilder für das Unsichtbare, die seelischen Zustände der Erstarrung und Verzweiflung zu finden, ist da noch schwieriger. Für das Gegenteil von Liebeskummer, die Liebe, gibt es unendlich viele Visualisierungen. Die meisten jedoch, wie die von roten Rosen und blinkenden Herzchen, sind derart abgenutzt, dass es die beiden Autorinnen schon schaudert, wenn sie nur daran denken. Jana Matthes und Andrea Schramm warten stattdessen geduldig ab, halten sich zurück, um individuell aussagekräftige und zugleich allgemein lesbare Situationen zu filmen. Gerade haben sie Claudia in ihrer Wohnung besucht, die sie selbst ein „Exfreundmuseum“ nennt: Nichts von ihm ist weggeräumt worden in den letzten Monaten, weder die CDs noch die Kleidung. Und jeden Morgen zieht Claudia wieder den Bademantel ihres Verflossenen an, hüllt sich hingebungsvoll in den Rest von seinem Geruch, der sich noch nicht aus dem Frottee verflüchtigt hat. Hans-Jürgen haben die beiden beim einsamen Spaziergang im Park gefilmt – als er die Enten auf dem Teich immer wieder in das zu dünne Eis einbrechen sah. Ein solches Bild kommt ohne Text aus. Bis in den Sommer hinein wollen Jana Matthes und Andrea Schramm ihre Protagonisten begleiten, auch der Wechsel der Jahreszeiten wird deshalb nebenbei eine Rolle spielen. Der Winter sei ja insgesamt eine Zeit der Stagnation, finden die Zwei. Vielleicht wird deshalb auch manches besser und heller werden, wenn der Frühling endlich kommt. Nicht nur das Wetter.“
Carmen Böker | Berliner Zeitung vom 15./16.03.2007